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Michael Chabon:
Die Vereinigung jiddischer Polizisten

Kiepenheuer & Witsch, 2008
Detektiv Meyer Landsman, abgetakelter Polizist in Sitka, der Hauptstadt der Juden, ermittelt in einem Mordfall. In dem schäbigen Hotel, in dem er wohnt, wurde sein Zimmernachbar erschossen, und gemeinsam mit seinem Partner Berko beginnt er die Untersuchungen, die ihn zu den Gründungsvätern der Stadt, Schachmeistern und in religiöse Randbezirke führen.

Ein irrwitziges literarisches Szenario – auch so hätte die Geschichte verlaufen können. Sechzig Jahre lang haben jüdische Flüchtlinge und ihre Nachkommen den Distrikt Sitka in Alaska aufgebaut und sich nach dem Holocaust und dem Zusammenbruch des Staates Israel im Jahre 1948 eine eigene kleine Welt erschaffen: eine Grenzstadt, in der das Leben trotz der klimatischen Widrigkeiten pulsiert und in der Jiddisch Umgangs- und Amtssprache ist. Doch jetzt soll der Distrikt an Alaska zurückfallen und sich die Geschichte wiederholen – erneut droht den Juden Vertreibung und Heimatlosigkeit.

Aber Meyer Landsman vom Morddezernat hat noch andere Probleme als die bald anstehende »Reversion«. Seine Ehe ist am Ende, er trinkt und steckt auch beruflich in einer Sackgasse: Nicht mal die Hälfte der Fälle ist gelöst. Sein neuer Chef ist seine Exfrau, und in dem billigen Hotel, in dem er wohnt, wurde ein Mord begangen. Das Opfer ist ein ehemaliges Schach-Wunderkind, und Landsman beginnt mit seinen Untersuchungen aus bloßer Routine und mit dem Gefühl, dass er dadurch vielleicht noch etwas gutmachen kann. Doch als von ganz oben die Anweisung ergeht, dass der Fall sofort zu den Akten gelegt werden soll, ermittelt Landsman mit seinem Partner auf eigene Faust und gerät tief in eine Welt, in der politische Ziele und religiöser Wahn eine gefährliche Allianz eingehen.

Der Roman ist packender Whodunnit, Liebesgeschichte und Hommage an die Krimis der 40er-Jahre in einem und lässt das Jiddische wieder lebendig werden. Er stand monatelang auf den amerikanischen Bestsellerlisten.

auch als Hörbuch erhältlich (gelesen von Armin Rohde)

Rezensionen

 

„Die gesamte Parallelwelt der Sitka-Bewohner wird detailverliebt und mit allerlei jiddischem Vokabular philologisch engagiert ausgemalt (von der … Übersetzerin Andrea Fischer lebendig und sicher verdeutscht).

Jens Balzer, Berliner Zeitung, 26.6.08
„Feuerwerkskörpern gleich durchzischen Michael Chabons Sätze – von Andrea Fischer wundervoll ins Deutsche übertragen – die dunkle acht Sitkas, manche funkeln wie ein Goldregen, andere knallen laut, bevor sie verglühen, aber jeder ist ein Fest für sich.“

Transglobal, 29.5.08
„Witzig, spannend und stimmig hat Chabon dabei einen wunderbaren Plot gesponnen, der bis zum Ende voller überraschender Wendungen steckt und dank Übersetzerin Andrea Fischer auch auf Deutsch ein Lesevergnügen ist.“

Badische Neueste Nachrichten, 2.9.08

Leseprobe

 

Seit neun Monaten haust Landsman nun im Hotel Zamenhof, ohne dass es einem seiner Mitbewohner gelungen wäre, sich umbringen zu lassen. Jetzt hat jemand dem Gast von Zimmer 208 eine Kugel in den Kopf gejagt, einem Jid, der sich Emanuel Lasker nannte.

„Er ist nicht ans Telefon gegangen, er hat die Tür nicht aufgemacht“, sagt Tenenboym, der Nachtportier, als er Landsman aus den Federn holt. Landsman wohnt in Zimmer 505 mit Blick auf die Neonreklame des Hotels auf der anderen Seite der Max Nordau Street. Es heißt Blackpool, ein Wort, das in Landsmans Alpträumen eine Rolle spielt. „Ich musste mir Zugang zu seinem Zimmer verschaffen.“

Der Nachtportier ist ein ehemaliger Marine und selbst einmal heroinabhängig gewesen, damals in den Sechzigern, als er vom Schlachtfeld des Kubakrieges zurückkehrte. Mütterlich kümmert er sich um die süchtigen Bewohner des Zamenhof. Er gewährt ihnen Kredite und sorgt dafür, dass sie ihre Ruhe haben, wenn es nötig ist.
„Haben Sie irgendwas in dem Zimmer angefasst?“, fragt Landsman.
„Nur Bargeld und Schmuck“, sagt Tenenboym.

Landsman schlüpft in Hose und Schuhe und zieht die Hosenträger hoch. Dann dreht er sich zusammen mit Tenenboym zum Türknauf um, an dem seine Krawatte hängt, rot mit einem dicken braunen Streifen, bereits zeitsparend vorgeknotet. Landsman bleiben noch acht Stunden bis zur nächsten Schicht. Acht verdammte Ratten-Stunden, in denen er in seinem mit Holzspänen gefüllten Glaskasten sitzt und an seiner Flasche nuckelt. Seufzend greift Landsman zu seiner Krawatte. Er schlüpft mit dem Kopf hindurch und schiebt den Knoten zum Kragen hoch. Dann zieht er seine Jacke an, tastet nach der Brieftasche und der Polizeimarke in der Brusttasche und klopft auf die Scholem im Holster unter seinem Arm, eine kurzläufige Smith & Wesson Model 39.

„Ich wecke Sie nur ungern, Detective“, sagt Tenenboym. „Hab bloß gemerkt, dass Sie nicht richtig schlafen.“
„Ich schlafe“, sagt Landsman. Er greift zu dem Schnapsglas, mit dem er momentan liiert ist, ein Souvenir von der Weltausstellung 1977. „Allerdings in Hemd und Unterhose.“ Landsman hebt das Glas und stößt auf die dreißig Jahre an, die seit der Weltausstellung in Sitka vergangen sind. Ein Höhepunkt der jüdischen Zivilisation im Norden sei sie gewesen, heißt es, warum sollte er da widersprechen? In jenem Sommer war Meyer Landsman vierzehn und entdeckte die Herrlichkeit jüdischer Frauen, für die 1977 auch eine Art Höhepunkt gewesen sein muss. „Im Sessel.“ Er leert das Glas. „Mit meiner Scholem.“

Nach Ansicht von Ärzten, Therapeuten und seiner Exfrau ist Landsmans Trinkerei eine Selbstmedikation, bei der die Röhren und Kristalle seiner Launen von hochprozentigem Zwetschgenbrand justiert werden, eine Pferdekur. Doch in Wahrheit kennt Landsman nur zwei Zustände: arbeitend oder tot. Meyer Landsman ist der am höchsten ausgezeichnete Schammes im Distrikt Sitka, er ist der Mann, der die Ermordung der schönen Froma Lefkowitz durch ihren Gatten, einen Kürschner, aufklärte und der den Krankenhausmörder Podolsky fasste. Es war Landsmans Aussage, die Hyman Tsharny lebenslänglich hinter Gitter brachte, das erste und einzige Mal, dass die Anklage gegen einen Verbover Mafioso auch aufrechterhalten werden konnte. Landsman hat das Gedächtnis eines Verurteilten, den Mut eines Feuerwehrmannes und die Augen eines Einbrechers. Gibt es ein Verbrechen zu bekämpfen, rast Landsman durch Sitka wie ein Mann, in dessen Hose ein Feuerwerkskörper steckt. Als würde im Hintergrund ein Soundtrack laufen, mit besonders vielen Kastagnetten. Das Problem sind die Stunden, in denen er nicht arbeitet und seine Gedanken durch das offene Fenster seines Hirns fortgeweht werden wie Blätter vom Schreibtisch. Manchmal braucht man einen mächtigen Briefbeschwerer, um sie festzuklemmen.

„Ich mache Ihnen ungerne noch mehr Arbeit“, sagt Tenenboym.
In seiner Zeit bei der Drogenfahndung verhaftete Landsman Tenenboym fünf Mal. Das ist die alleinige Grundlage ihrer sogenannten Freundschaft. Fast ist es genug.

„Das ist keine Arbeit, Tenenboym“, sagt Landsman. „Das mache ich aus Liebe.“

„Geht mir genauso“, sagt der Nachtportier. „Ich meine, Nachtportier in so einem beschissenen Hotel sein.“