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Janet Evanovich
Küssen und küssen lassen

 

Manhattan, 2014

 

Fall Nr. 19 der Kautionsjägerin Stephanie Plum

In Trentons drittklassigem Krankenhaus Central Hospital geschehen merkwürdige Dinge: Patienten verschwinden spurlos aus ihren Klinikbetten. Und weil unter den Vermissten ein Kautionsflüchtling ist, ermittelt Stephanie Plum in dem rätselhaften Fall. Ihre Spurensuche führt die Kopfgeldjägerin 1. in ein Seniorenheim, dessen Bewohner um ihre Ersparnisse gebracht wurden, 2. an den FKK-Strand und 3. in ein leerstehendes Gebäude, in dem es nicht mit rechten Dingen zugeht. Mit einem Mal schwebt Stephanie selbst in Gefahr. Doch sie hat neben Ranger und Morelli einen dritten Beschützer: eine geheimnisvolle hawaiianische Schnitzfigur, die sich unverhofft als Lebensretter entpuppt …

 

auch als E-Book erhältlich

 

 

 

Leseprobe

 

„Ich weiß echt nicht, warum wir mitten im Sommer mitten am Tag in dieser Scheißgegend in deinem brütend heißen Auto hocken müssen“, sagte Lula. „Hier drin sind mindestens neunzig Grad. Warum ist die Klimaanlage nicht an?“

„Ist kaputt“, erwiderte ich.

„Und warum machst du dann nicht das Fenster auf?“

„Weil’s klemmt.“

„Und warum haben wir nicht mein Auto genommen? Bei mir funktioniert alles.“

„Dein Auto ist rot und total auffällig. Das sticht jedem sofort ins Auge. Meins ist ein Tarnkappenfahrzeug“, gab ich zurück.

Lula rutschte auf dem Sitz herum. „Tarnkappenfahrzeug, dass ich nicht lache! Das ist ein Haufen Schrott.“

Sie hatte recht, aber immerhin war es mein Schrotthaufen; aufgrund einer beruflichen Dürrephase war es alles, was ich mir momentan leisten konnte. Lula und ich arbeiten für die Kautionsagentur meines Vetters Vinnie in Trenton, New Jersey. Ich bin Kautionsdetektivin, und Lula belgeitet mich gelegentlich auf meinen Streifzügen.

Wir standen auf der Stark Street und observierten ein Wohnheim in der Hoffnung, Melvin Barrel zu erwischen, wenn er kam oder ging. Ihm wurde Drogenbesitz und Drogenhandel vorgeworfen. Vinnie hatte Kaution gestellt, damit Barrel nicht in den Knast musste, aber der war nicht zu seinem Gerichtstermin erschienen. Lula verdient ihre Brötchen eigentlich als Vinnies Bürohilfe, ich hingegen bekomme nur Geld, wenn ich einen Ausreißer schnappe, deshalb hatte ich Grund genug, in meinem höllisch heißen Wagen zu schmoren und zu hoffen, dass mir Barrel auf den Leim ging.

„Früher hab ich auf dieser Straße angeschafft“, meinte Lula, „aber in einem besseren Abschnitt. Dieser Block hier ist was für Loser. Keine erstklassige Nutte würde in dieser Ecke arbeiten. Darlene Gootch hat hier immer gestanden, aber dann kam ja raus, dass sie zum Spaß Leute abmurkste.“

Lula fächelte sich mit einer zerknüllten Fastfood-Tüte Luft zu, die sie im Fußraum hinter den Vordersitzen gefunden hatte. Der Geruch von alten Pommes und Ketchup zog zu mir herüber.

„Wenn du noch länger mit dieser Tüte rumwedelst, riechen wir gleich wie frisch aus der Fritteuse“, sagte ich.

„Ist ja gut“, meinte sie. „Davon bekomme ich Hunger, und so gerne ich auch den Duft von fettigem Essen mag, will ich nicht, dass mein Haar danach riecht, das hab ich mir nämlich gerade machen lassen. Inklusive Piña-Colada-Spülung, damit dufte ich wie eine Südseeinsel.“

Lulas Haarpracht war heute feuerwehrrot und mit einem Glätteisen zu Wildschweinborsten gepresst. Ihre braune Haut glänzte vor Schweiß. Sie hatte ihren üppig wogenden Körper in einen knappen giftgrünen Stretchrock der Größe 36 gequetscht, die Fleischmassen ihrer Brust quollen aus einem grellgelben Sonnentop mit Spaghettiträgern. Wir beide sind ungefähr gleich alt, Mitte dreißig. Und wir sind beide Single.

Mein Name ist Stephanie Plum, und ich habe weder Lulas Körper noch das dazu passende große Mundwerk. Stattdessen habe ich schulterlange braune Locken, blaue Augen, die fast immer von einem Schwung schwarzer Wimpertusche betont werden, dazu ganz passable Zähne, ein süßes Näschen mitten im Gesicht – und den obersten Knopf meiner Jeans bekomme ich meist zu.

„Guck dir mal diesen Spinner an, der da mitten auf der Straße auf uns zukommt“, sagte Lula. „Was hat der denn vor?“

Der Spinner war ein dürrer Typ in Hip-Hopper-Klamotten: Baggy-Pants, Muskelshirt, Basketballschuhe für 700 Dollar. Er lief eher, als dass er ging, und sah sich alle paar Schritte über die Schulter um. Als er Lula und mich entdeckte, änderte er seine Richtung und lief geradewegs auf uns zu. Am Auto angekommen, riss er am Türgriff auf der Fahrerseite, doch es tat sich nichts.

„Was ist damit?“, fragte Lula.

„Die Tür klemmt“, erklärte ich. „Macht sie immer, wenn’s so heiß ist.“

Der Hungerhaken presste das Gesicht an meine Fensterscheibe und schrie etwas.

„Was will der?“, fragte Lula. „Ich versteh kein Wort, und die Sonne blendet mich so in seinem Goldzahn mit dem Diamanten, dass ich auch nichts sehen kann.“

„Ich glaube, er sagt, wenn ich nicht die Tür aufmache, bringt er mich um.“

„Das klingt nicht gerade verlockend“, meinte Lula. „Vielleicht ist das jetzt ein guter Zeitpunkt, um uns was zu essen zu holen.“